«Ich habe mich gefragt, was mein Beitrag sein kann in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Natürlich habe ich Geld gespen-det. Und ich kam auch zum Schluss, dass ich meine Wohnung Geflüchteten zur Verfügung stellen könnte. Daraufhin registrierte ich mich bei Campax. Ich stellte mich darauf ein, dass es einige Zeit dauern wird, bis sich jemand bei mir meldet – der Krieg hatte erst begonnen. Die ersten zwei Wochen hörte ich auch nichts, aber plötz- lich ging alles sehr schnell. Die Flüchtlings- hilfe rief an und am nächsten Morgen zogen eine Frau und ein Mann bei mir ein und ich zog zu meinem Mann.
Da ich als Craniosacral Therapeutin und Coach arbeite, hatte ich tagsüber wenig Zeit, mich um die beiden zu kümmern. Ich liess sie in meiner Wohnung zurück mit all den Gedanken an das Erlebte und an das, was noch kommen wird. In einem Land, in dem sie niemanden kannten und sich kaum verständigen konnten. Sie sprachen Ukrainisch und Russisch und ich nicht. Wir verständigten uns mit Hilfe einer Übersetzungs-App. Doch auf viele ihrer Fragen, etwa was die Behörden betraf, die Jobsuche oder andere Notwendigkeiten, wusste ich schlicht keine Antwort. Ich hatte keine Informationen von der Flüchtlingshilfe erhalten, nicht einmal die Namen meiner beiden Gäste. All das machte mir zu schaffen. Umso mehr, da ich weiss, wie entscheidend es ist, wie die Gesellschaft mit einer solchen Traumatisierung, wie es die Geflüchteten gerade erleben, umgeht. Traumatisierte sollten ein Gefühl von Zugehörigkeit erfahren, sich aufgehoben und sicher fühlen und bestimmt nicht alleine und sich selber überlassen sein. Mir war klar, ich musste etwas tun. Während eines Spaziergangs mit meiner Hündin kam mir die Idee zu Imagine. Ukraine in Bern. Ich wollte einen Ort schaffen, wo sich Geflüchtete und Menschen aus Bern vernetzen, austauschen und sich so gegenseitig unterstützen können.
Der erste Anlass von Imagine. Ukraine in Bern fand genau eine Woche nach dem Einzug der beiden Geflüchteten in meine Wohnung statt. Ich hatte die Möglichkeit so rasch zu handeln, da ich keinen Raum suchen musste. Mein Mann betreibt an der Kramgasse das Konzertlokal Orbital Garden und er stellte mir dieses zur Verfügung und half mir, ein Logo zu zeichnen. Eine Freundin stellte mir Elena Makarova vor und ich fragte sie, ob sie mitmachen würde. Sie ist Ukrainerin, lebt in Bern und ist Inhaberin einer Professur an der Universität Basel. Sie sagte sofort zu. Und so entstanden die wöchentlichen Treffen an der Kramgasse für Geflüchtete, Gastfamilien und Interessierte.
Es gab Getränke und Kuchen, denn es sollte ein Ort sein, wo man sich willkommen geheissen, wohl und sicher fühlt. Ein Ort, wo man zur Ruhe kommen kann, wo man mit seinen Fragen oder Bedürfnissen hinkommen und Menschen in ähnlichen Situationen kennenlernen kann. Beim ersten Mal war ich nervös. Ich wusste nicht, ob jemand kommen wird und wie das überhaupt ablaufen sollte. Aber jedes Mal durfte ich erleben, dass alles fast wie von selber lief. Anfangs kamen über 100 Personen. Sie tauschten sich aus und organisierten sich. Auf Plakate an den Wänden wurden Adressen für Hilfsangebote, Sprachschulen oder Registrierstellen notiert. Menschen schlossen sich zusammen, um kulturelle Veranstaltungen zu besuchen oder gemeinsam in Zürich Essen zu holen. Eine Familie fand eine Wohnung, ein Mann im Rollstuhl einen Ort zum Trainieren. Es wurden Laptops und Trottinetts für Kinder vermittelt. Jede und jeder gab, was sie oder er geben konnte – einen selbstgebackenen Kuchen, Kleider, Farbstifte, Wissen oder einfach seine oder ihre Präsenz. An jedem dieser Treffen berührte mich zu sehen, was wir gemeinsam erreichen können.
Vor drei Wochen hat das sechste und letzte Treffen stattgefunden. Als ich Imagine lancierte, gab es in Bern noch nichts Derartiges. Mittlerweile ist das zum Glück anders. Natürlich bleibt die Facebook-Gruppe weiter bestehen. Sie wächst und funktioniert, wie erhofft, relativ selbstorganisiert.» (fz)
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