«Als Kind habe ich viel mit meiner Schwester gesungen. Wir sangen an Familienfesten. Es waren Jodellieder wie ‹Mys chline Veieli› und Innerschweizer Volkslieder, ich komme ja aus Nidwalden. Aber jodeln kann ich nicht. Es gehörte zu Geburtstagen und Weihnachten dazu, dass wir zwei vorsangen. ‹Singet no eis› wurden wir aufgefordert. Uns gefiel das.
Als ich älter war, lernte ich Gitarre spielen und sang in der Pfadi am Lagerfeuer Folksongs für die anderen. Mein Musikstudium begann ich erst mit 24 Jahren. Nach der Schule wollte ich rasch mein eigenes Geld verdienen und machte eine KV-Lehre. Danach arbeitete ich in Luzern. Hier stiess ich zu zu einer Musical- gruppe, wurde vertraut mit Schauspiel, Tanz und professionellem Gesang. Ich spürte, dass ich mein Leben mit Musik füllen will, und dass ich mir fundiertes Wissen über Musik aneignen möchte. So belegte ich den Vorkurs an der Jazz-Schule in Luzern. Es war hart. Mir fehlte einiges an Vorkenntnissen, denn, anders als die anderen, hatte ich vorher nie Gesangs- oder Musiktheorie-Unterricht. Doch dank meines Ehrgeizes konnte ich mithalten.
Ich entschied mich für die Hochschule der Künste in Bern, da mir die Stadt immer sympathisch war. Zudem wollte ich raus aus der Innerschweiz. Ausschlaggebend war dann aber, dass ich mich während des Aufnahmeverfahrens an der HKB von der Studienleitung und den Dozenten angesprochen und verstanden fühlte. Ich arbeite intuitiv und nicht analytisch. Das wurde akzeptiert. Im Herbst habe ich das Studium nun abgeschlossen und damit hat für mich eine neue Phase begonnen. Ich habe viel gelernt, viele Inputs erhalten, fast zu viele, nun kann ich all das Kapitel für Kapitel vertiefen und schauen, wohin ich getrieben werde. Aktuell arbeite ich an meiner Stimmhygiene, damit mein «Stimmapparat» gesund und funktionsfähig bleiben. Dazu gehe ich zu einer Logopädin.
Die Stimme ist eigentlich ein gefährliches Instrument. Dadurch, dass du es immer bei dir hast, kannst du es jederzeit einsetzen, ohne Pflege und ohne Pausen. Mir ist passiert, dass ich während der Ausbildung meine Stimme teilweise überstrapaziert habe. Ich sang manchmal, obwohl ich heiser war. Als Studentin bist du auf das Endziel, also die jeweilige Prüfung, fokussiert und denkst nicht darüber hinaus. Du schenkst der Pflege deiner Stimme zu wenig Beachtung, dabei ist sie dein Instrument. Vor meiner Abschlussprüfung hatte ich eine schlimme Angina, das hat mir deutlich gezeigt, dass ich mich als Sängerin schnell selber verheizen kann.
Meine Eltern waren nicht begeistert, als ich ihnen mitteilte, dass ich Musikerin werden will. Eltern möchten ja das Beste für ihre Kinder und mein Vater hatte Mühe mit dem Gedanken, dass ich meinen finanziell sicheren KV-Job aufgab, um einen Traum zu leben, der vielleicht nicht das Erhoffte bringt. Als er dann während meinem Studium miterlebte, was ich lerne und er mich an Konzerten auf der Bühne sah, da ist der Groschen gefallen. Heute kann er mich besser darin unterstützen, Künstlerin zu sein.
Ich glaube, ich habe eine kindliche Neugierde und darum laufen bei mir immer verschiedene Bandprojekte gleichzeitig. Jedes ist anders, aber bei allen bin ich die Leaderin und Songschreiberin. Eines davon ist das interdisziplinäre Trio Yürg mit Tanz und Gesang. Dann arbeite ich bei ‹in a inn› im Duo mit einem Hackbrettspieler zusammen. Ich liebe es, das Publikum damit zu überraschen, was mit einem Hackbrett alles möglich ist. Mein Lieblingsprojekt ist aber ganz klar meine Band alpha-ray. Wir sind zu viert. Unsere Musik ist eine Mischung aus Synth-Pop, Trip Hop, Ambient und Jazz, die sich mit keinem Label versehen lässt. Meine Texte sind feinfühlig, sie handeln von Alltagstragödien und Zwischenmenschlichem. Ich bin keine, die Partymusik macht.
Mit alpha-ray haben ich und die Band den Zuschlag für die Residenz in der Heitere Fahne erhalten. Während mehrerer Tage können wir dort an unserem Album ‹Times of Doubt› arbeiten und am 23. April gibt es die Release Show, die Konzert, Filmvorführung und Vernissage verbinden soll. Ich freue mich sehr, auch wenn sich das Ganze für uns irgendwie grössenwahnsinnig anfühlt.
Angst, vor Publikum aufzutreten, habe ich nicht oder vielleicht während der ersten dreissig Sekunden. Auf der Bühne bin ich der Musik näher als den Zuschauenden und kann abschalten. Ich bin mir ja seit meiner Kindheit gewohnt, vor Publikum aufzutreten und ich war schon immer eine Entertainerin. Das war meine Rolle in der Familie. Bevor meine Schwester und ich begonnen haben vorzusingen, habe ich jeweils der Familie die Geschichten von Globi-Kassetten nacherzählt.
Mein Vater war vielleicht nicht ganz im Unrecht, als er sich über meine finanzielle Zukunft Sorgen gemacht hat. Aktuell finanziere ich mein Leben nur dank Teilzeitarbeit in der Gastro, bei der Administration an der HKB und als Gesangslehrerin. Wobei mir der Gesangs-unterricht mehr bedeutet, als nur Arbeit, um Geld zu verdienen. Im Unterricht mit den Schülerinnen und Schülern kann ich auch viel lernen. Ich bin eine gute Zuhörerin. Das muss ich sein, damit ich erfahre wie es meinem Gegenüber geht. Gefühle wirken sich auf die Stimme aus, auch auf meine. Beim Singen zeigt sich, ob jemand müde oder traurig ist oder ob jemand Sorgen hat. Das muss ich in den Lektionen berücksichtigen.
Am Unterrichten schätze ich auch den Kontakt mit den verschiedensten Menschen. Da kann mich an einem Tag eine Clownin besuchen, die ich bei der Vorbereitung ihres Bühnenprojekts unterstütze und am Nachmittag kommt eine Person, die den Zugang zu ihrer Stimme erfahren will und zu guter Letzt eine Gruppe mit Kindern und Müttern. Bei mir läuft viel im Moment und es ist stressig. Mir fehlt die Zeit, einfach mal nichts zu tun, aber gleichzeitig möchte ich auch nichts an dem, was jetzt läuft, ändern.» (fz)
Comments