«Dass ich mich mit Schnecken und Muscheln beschäftige, ist purer Zufall. Nach meinem Biologiestudium konnte ich am Natur-historischen Museum in der Abteilung für wirbellose Tiere eine Projektarbeit machen. Daraufhin erhielt ich eine Festanstellung. Meine Aufgabe als Malakologin ist es unter anderem, Schnecken und Muscheln aus der Sammlung korrekt zu bestimmen und in einer Datenbank zu erfassen. Wir haben keine lebenden Tiere im Museum, aber tausende von Schnecken- und Muschel-gehäusen. Das Bestimmen mache ich mittels Erkennungsmerkmalen, dazu betrachte ich die Stücke teils unter der Lupe. Oft ist es Detektivarbeit. Auf meinem Pult stapeln sich Säcke und Glasbehälter voller Schneckenhäuser und Muscheln. Die Sammlung im Museumskeller ist voll davon. Ich liebe es, Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen. Es wird jedoch noch Jahre dauern, bis das ganze Archiv aufgeräumt und überarbeitet ist, da werde ich längst pensioniert sein. Manche Stücke messen nur knapp einige Millimeter. Diese unter der Lupe zu betrachten, braucht eine ruhige Hand. Das mache ich nur am Morgen, wenn der Arbeitstag erst begonnen hat und meine Konzentration noch voll da ist. Es kann passieren, dass so ein winziges Exemplar auf den Boden fällt. Dann krieche ich mit der Taschenlampe unter den Schreibtisch und hoffe bei jedem Brotbrösmeli, es könnte das gesuchte Stück sein. Zum Glück kommt das selten vor.
Kürzlich haben wir für ein 2,5 Millimeter grosses Gehäuse ein Mikro-CT erstellt. Man kann sich das vorstellen wie die Computertomographie beim Menschen. Am Schluss ergibt sich ein dreidimensionales Bild, mit dem innere Strukturen des Gehäuses sichtbar werden, die wichtig sind, um Arten voneinander abzutrennen. Das Gehäuse kann dann sogar in 3D ausgedruckt werden. Mich reizt die Arbeit mit neuer Bildsoftware. Sie beinhaltet kreative Aspekte. Eigentlich habe ich ja die gestalterische Matura abgeschlossen, mich dann aber für ein naturwissenschaftliches Studium entschieden. Denn Biologie war eines meiner Lieblingsfächer. Ich empfand die Inhalte immer schon als logisch, anschaulich und faszinierend.
Mein Chef hat eine Schneckenart nach mir benannt. Sie heisst Orculella bochudae. Bochud ist mein Nachname, somit freuten sich auch meine Verwandten darüber. Selber habe ich eine Schnecke auf den Namen Diancta phoenix getauft. Ich durfte das, da ich sie neu beschrieben habe. Das heisst, ich habe die für diese Art einzigartigen Merkmale definiert. Das Gehäuse ist im Sammlungsmaterial im Museum für Comparative Zoology Harvard in den USA entdeckt worden.
Wer denkt, unsere Arbeit im Museum sei verstaubt und unnötig, liegt falsch. Mich ärgert diese Ansicht sehr. Durch das Wissen, welche Tierarten es in der Schweiz gibt, wo sie vorkommen und wie sie sich über die Zeit entwickeln und verändern, leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz. Ich betone immer wieder, dass nur geschützt werden kann, was man kennt. Damit das Bestimmen von Schnecken für Biologen und Interessierte draussen einfacher geht, habe ich das Online-Tool Schneckenchecken.ch entwickelt. Drei Jahre lang habe ich daran gearbeitet. Ich habe für fast 300 Arten Daten gesammelt, 280 Bestimmungskriterien definiert und circa 3000 Fotografien erstellt oder gesucht. Ohne Unterstützung durch Arbeitskollegen hätte ich das nicht geschafft.
Wir arbeiten im Museum ja mit toten Tieren. Manche Schneckenhäuser oder Muscheln sind zweihundert Jahre alt. Derzeit haben wir aber eine lebende Schnecke aus Afrika im Büro zu Besuch, eine Achatschnecke. Sie gehört einem unserer Studenten. Das Tier ist dreissig Zentimeter lang. Manchmal setze ich die Schnecke auf meine Hand und beobachte sie. Ihre langsamen Bewegungen haben etwas Beruhigendes.
Das tut mir gut. Ich bin nämlich ein eher ruheloser Mensch, unternehme viel, bin oft unterwegs, treffe liebend gerne Menschen, unterhalte mich, besuche Konzerte oder lade Freunde ein.
Mir fällt es manchmal schwer, mich nach Feierabend auf den Balkon zu setzen, die Aussicht zu geniessen und mich zu entspannen. Erholung und Ruhe finde ich mit Freunden und beim Sport. An der Uni habe ich für mich Fitboxen entdeckt. Eine Mischung zwischen Kickboxen und Aerobic, bei welcher du zu zweit gegen einen Boxsack im Takt zu Musik boxt. Da lebe ich dann ganz im Moment und kann abschalten.
Ich halte mich auch gerne im, am oder auf dem Wasser auf. Verbringe die Zeit mit Kitesurfen, Stand-Up-Paddeln oder Wellenreiten. Mich interessieren auch die marinen Muscheln und Schneckenhäuser sehr. Ich liege meinem Chef immer in den Ohren, dass ich mich gerne mit diesen Objekten aus der Sammlung beschäftigen möchte. Aber dafür haben wir leider keine Kapazität. Unser Fokus liegt primär auf den europäischen Arten. Als Biologin könnte ich ja in anderen Ländern arbeiten, längerfristig liegt mir das aber nicht. Da bin ich doch eher ein Vogel, der ausfliegt und wieder zurückkehrt.» (fz)
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