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Lisa: «Das Bedürfnis, andere zu unterhalten, habe ich als Privatperson nicht»


«In gefühlt jedem Interview werde ich gefragt, wie es ist, als Frau in einer Männerdomäne zu arbeiten. Das nervt total. Ich finde, dass es mittlerweile sehr viele erfolgreiche Kabarettistinnen gibt und ich verstehe nicht, weshalb das immer noch ein Thema ist. Allen, die denken, es gebe keine Frauen in der Comedyszene, kann ich nur raten: Googelt doch einfach mal! Schade finde ich aber, wenn sich weibliche Comedians auf Themen wie Menstruation oder Kinder beschränken. Es findet bei Bühnenfrauen – gerade bei den jüngeren – oft eine Selbstbeschränkung statt und interessant ist, dass diese Art von Humor in den letzten Jahren oft als feministische Comedy gefeiert wurde. Für mich fühlt sich das eher wie ein Rückschritt an, wenn Frauen wieder nur über ihre Gefühle und ihren Körper sprechen, während sich die Männer um die weltpolitischen Themen kümmern. Aber vielleicht hat da auch ein Generationenwechsel stattgefunden und ich bin einfach zu alt, um das zu verstehen.


Ich habe nie einen klassischen bürgerlichen Beruf gelernt. Das haben meine Eltern auch nicht von mir erwartet. Ich komme aus einer Künstlerfamilie, meine Mutter ist bildende Künstlerin. Hätte ich rebellieren wollen, hätte ich statt Musik zu studieren eine Banklehre machen müssen. So gesehen bin ich ein sehr angepasstes Kind. Ich war längere Zeit als Musikerin unterwegs und stand 2012 – da war ich 33 Jahre alt – zum ersten Mal als Kabarettistin auf einer Bühne. An den Oltner Kabarett-Tagen fand ein Casting statt und ich wurde angefragt, ob ich teilnehmen wolle. Meine Musik war zwar kabarettistisch angehaucht, aber Comedy war dennoch ein völlig neues Handwerk für mich. Ich war nie wieder so nervös wie vor diesem Auftritt. Als dann die ersten Lacher kamen, verflog die Nervosität. So soll es doch auch sein im Leben: Man hat eine Idee, probiert sie mit einer gewissen Unsicherheit aus und schaut, wohin sich das Ganze entwickelt. Sich in der Theorie immer alles wahnsinnig gut zu überlegen und zu planen, bringt meistens nichts, denn die Begeisterung kommt mit dem Tun. So ist das zumindest bei mir. Meine ersten drei Programme entstanden so: Chli druflos, när mache und de zeigt sechs de scho. Bei der Vorbereitung meines vierten Programms ‹Fertig Theater!› bin ich strukturierter vorgegangen. Ich habe mir vorgängig zehn Aussagen überlegt, die ich machen will, und habe den Rest darauf aufgebaut. Ich wollte mehr Geschichten erzählen. Das war gleichzeitig auch der rote Faden: Was sind Geschichten, warum erzählen wir uns Geschichten, wem glauben wir sie und wem nicht?


Lustig ist etwas dann, wenn es unerwartet kommt. Wir hören etwas, das wir kennen und dann führt es irgendwohin, wo wir es nicht haben kommen sehen. Das ist das Handwerk des Humors: Setup – Setup – Pointe. Und die Pointe ist der Bruch, also das, was lustig ist. Je intensiver man sich mit Humor beschäftigt, desto häufiger sieht man den Bruch kommen. Je mehr man vom Handwerk versteht, desto seltener findet man etwas wirklich lustig. Vor jeder Premiere teste ich das neue Programm in vier bis sechs sogenannten Try-Outs: Dabei wird das neue Material vor Leuten ausprobiert. Natürlich hilft mir die Erfahrung mittlerweile, um abzuschätzen, was in etwa funktioniert und was nicht. Dennoch gibt es immer wieder grosse Überraschungen. Da wird an Stellen gelacht, die ich selbst nicht für die Pointe hielt und umgekehrt kommen Witze nicht an, die ich als bombensicher eingestuft hatte. Wenn wider Erwarten nicht gelacht wird, liegt es oft daran, dass eine Geschichte noch nicht auf den Punkt gebracht ist oder um zu viele Ecken herum gedacht wurde.


Alles, was ich in meinen Programmen bringe, finde ich selbst auch gut. Ich muss dahinterstehen können. Ich würde zum Beispiel nie Witze unter der Gürtellinie machen. Obwohl ich weiss, dass diese Art Humor meistens für Lacher sorgt. Du kannst auf eine Bühne gehen und ‹Arschloch› sagen – schon wird gelacht. Aber das ist mir zu einfach.


Mein Humor ist trocken. Ich mag Sarkasmus und Selbstironie. Ich versuche Themen zu vermeiden, die schon durchgenudelt und x-Mal bespielt worden sind. Zum Beispiel Beziehungsthemen oder Berner-Zürcher-Beef respektive Zürcher-Basler-Beef. Das ist mittlerweile einfach nur langweilig. Auch der Veganismus ist durchgelutscht. Solche Themen nehme ich nur in meine Programme auf, wenn ich einen wirklich originellen Zugang dazu finde. Grundsätzlich gibt es kein Thema, über das nicht gelacht werden darf. Ich kenne da keine Tabus. Aber es muss einen Grund geben, weshalb ich davon erzähle. Deshalb mache ich zum Beispiel keine Witze über Religion, weil ich keinen persönlichen Zugang dazu habe. Dabei finde ich durchaus, dass man über religiöse Themen Witze machen darf. Unsere Vorfahren haben in Europa dafür gekämpft, dass wir uns heute über Autoritäten lustig machen können, ohne verhaftet zu werden. Das muss jeder aushalten können, der hier lebt. Als Comedian darf und soll man sich über sich selbst lustig machen. Das geht aber nur mit Themen, die einen persönlich tangieren. So hat alles, was ich auf der Bühne erzähle, einen autobiografischen Kern.


Es gibt zwei Arten von Comedians: Die einen sind sogenannte Kompaniekälber, die schon in der Schule der Klassenclown waren. Die anderen sind neben der Bühne eher nachdenklich und vielleicht sogar schüchtern. Ich gehöre zur zweiten Sorte. Ich finde Menschen anstrengend, die anderen ständig beweisen wollen, dass sie lustig sind. Das Bedürfnis, andere zu unterhalten, habe ich als Privatperson nicht.


Es ist gesund, sich immer bewusst zu sein, dass man auf der Bühne eine Rolle spielt, die man im Privaten ablegen kann. Es gibt einige alternde Showstars, die zur Karikatur ihrer selbst geworden sind, weil sie es irgendwann nicht mehr geschafft haben, ihre Rolle abzulegen. Vielleicht auch deshalb, weil sie glauben, dass man sie sonst nicht mögen könnte. Ich kann gut nachvollziehen, wie man in diese Spirale geraten kann. Serge Gainsbourg, den ich als Künstler sehr schätze, war so einer, der sich irgendwann nur noch mit Speichelleckern umgab, die ihn den ganzen Tag abfeierten. Kam er nach einem Konzert sturzbetrunken von der Bühne, haben ihm alle nur gesagt, wie toll er sei. Auch wenn das ein Extrembeispiel ist: Die Gefahr, sich selbst zu verlieren, besteht bei Bühnenmenschen immer – egal, wie gross die Bühne ist. Aber wenn man sich wie ich in der Schweizer Kleinkunstszene bewegt, ist die Gefahr sicherlich kleiner. Kleinkunst ist etwas sehr Unprätentiöses. Viele Bühnen werde von Freiwilligen betrieben und befinden sich irgendwo auf dem Land. Zu den Shows kommt dann das halbe Dorf, was ich sehr schön finde, und nach der Vorstellung isst man noch zusammen Znacht. Da dreht im Publikum niemand durch, weil gleich Lisa Catena auf die Bühne kommt. Das ist nicht so wie bei Robbie Williams, wenn er im Hallenstadion auftritt und die Frauen reihenweise in Ohnmacht fallen.

Ich habe bisher vier Programme für die Schweiz gemacht und zwei, mit denen ich in Deutschland unterwegs war. Humor verläuft für mich nicht entlang einer Landesgrenze, sondern entlang einer Geschmacksgrenze. Leute, die meinen Humor mögen, gibt es in Deutschland ebenso wie in der Schweiz. Und auch jene, die Schenkelklopfer bevorzugen, gibt es überall. Ein grosser Unterschied war für mich die Sprache. Die Schweizer Satzstellung ist sehr umständlich und nicht sehr humordienlich. Da muss man immer schauen, dass man schnell auf den Punkt kommt. Sagt man etwas auf Hochdeutsch, kommt man automatisch direkter zur Pointe.


Wenn ich auf der Bühne aktuelle politische Themen kommentiere, macht es einen grossen Unterschied, in welchem Land ich das tue: In der Schweiz, wo ich Stimmbürgerin einer direkten Demokratie bin und selbst mitbestimmen kann. Oder in Deutschland, wo eine Kanzlerin oder ein Kanzler alles bestimmt und das Volk nur alle paar Jahre einen Kopf wählen kann. Das ist ein völlig anderes System. Zudem bin ich in Deutschland Ausländerin und gehe mit einer ganz anderen Grundhaltung an die Themen ran als in der Schweiz. Deshalb schreibe ich für beide Länder auch zwei völlig unterschiedliche Programme. Verglichen mit der Schweizer Szene ist das deutsche politische Kabarett um einiges härter, böser, direkter und auch grösser. Ich bin überzeugt, dass der Grund im politischen System liegt, das die Humortradition sehr geprägt hat. Der Frust und die Wut über die Politik sind in Deutschland grösser und das Kabarett als Ventil umso wichtiger. In der Schweiz können wir viermal pro Jahr bei der Abstimmung Dampf ablassen, was viele Leute auch tun. Deshalb war unsere Kabarett-Tradition nie besonders politisch. Klar, da waren ein Soldat Läppli und da ist ein Franz Hohler, aber in der Regel war das Schweizer Kabarett schon immer eher auf Unterhaltung aus. Was ja auch nicht schlimm ist.


Zu wissen, was in der Welt läuft, gehört ein Stück weit zu meinem Beruf. Aber ich habe meine Haltung zu News im Lauf meiner Karriere radikal geändert. Früher war ich ein richtiger Newsjunkie und wusste über alles Bescheid. Mittlerweile habe ich sämtlichen Newskonsum unterbunden. Ich merkte, dass es mir nichts bringt, zu wissen, wem der iranische Präsident heute die Hand geschüttelt hat und was Trump gerade twittert.


Newskonsum ist etwa wie Junkfood essen: Du schaufelst etwas in dich hinein, was dir eigentlich gar nicht guttut. Heute wirst du aber auf jedem Kanal mit irgendwelchen billigen Copy-Paste-News – ich sage es einfach – zugeschissen. So haben News für mich keinen Informationsgehalt mehr. Zudem hinterlässt der konstante Strom an negativen Nachrichten bei mir ein Gefühl von Ohnmacht. Ich interessiere mich sehr für Politik, aber ich versuche mich heute darauf zu konzentrieren, die Hintergründe und Zusammenhänge zu verstehen. Ich habe zum Beispiel kürzlich ein paar Bücher über die Eurozone gelesen und darüber, was die Einführung des Euros in den verschiedenen Ländern für Auswirkungen hat. Warum es für Deutschland funktioniert, aber für Italien und Griechenland ziemlich scheisse läuft. Solche Themen finde ich spannend.


Das Kabarett-Publikum ist klar Ü50. Und man muss sich fragen, ob es in zwanzig Jahren noch ein Publikum für Live-Kabarett geben wird. Vieles verlagert sich schon heute auf Social Media und Youtube und manche Comedians, zum Beispiel Patti Basler, bespielen diese Kanäle meisterhaft. Um auf Social Media zu bestehen, muss man eine klare Idee und ein Konzept haben. Ich habe beides nicht. Ich liebe die Bühne und geniesse es, Reaktionen live mitzubekommen. Ich gehe aber nicht davon aus, dass ich mit meinem Publikum alt werde. Überhaupt ist alt zu werden in Künstlerkreisen ein sehr schwieriges Thema. Ich habe aus dem Umfeld meiner Eltern mitbekommen, wie schnell Künstlerinnen und Künstler im Pensionsalter in finanzielle Schwierigkeiten geraten können. Auch deshalb möchte mir andere Optionen offenhalten, unabhängig davon, wie sich die Bühnenkunst entwickeln wird. Während Corona habe ich zusammen mit zwei Freunden die zukker GmbH gegründet, eine Agentur für digitale Kommunikation. Wir haben zum Beispiel eine virtuelle Berufsmesse ins Leben gerufen, die noch immer durch die Schulhäuser tourt. Mit zukker ging für mich eine neue Welt auf, die ich sehr spannend finde und in der ich meine Kreativität auch ausleben kann. Kreativität ist für mich nicht an eine bestimmte Form gebunden. Ich kann mich mit der Agentur genauso kreativ austoben wie als Comedian oder Musikerin. Hauptsache, ich kann Ideen generieren und diese umsetzen. Das ist das, was für mich zählt.»


Lisa Catena (43) ist Kommunikationsspezialistin, Kolumnistin und Moderatorin. Als Kabarettistin hat die Bernerin über tausend Auftritte in der Schweiz und Deutschland gespielt und ist in verschiedenen TV- und Radioshows aufgetreten.



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