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Timo: «⁣⁣Oft werden wir als Helden bezeichnet, doch das sind wir nicht»

«Deinen ersten Einsatz als Berufsfeuerwehrmann bei einem Brand vergisst du nie. Für mich war es ein Feuer in einem Dachstock im Berner Marzili-Quartier. ⁣⁣Als ich in die Wohnung kam, war alles voller Rauch und es war stockdunkel. Von der Decke hingen unzählige Kabel, die sich durch die Hitze gelöst hatten und die teils geschmolzen waren. Ich wähnte mich in einem riesigen Spinnennetz. Verletzte gab es zum Glück keine, Menschen waren nicht im Haus. Zusammen mit einem Kollegen suchten wir die Wohnung mit der Wärmebildkamera nach Menschen und Tieren ab. Ich war damals im ersten Jahr meiner Ausbildung und hatte mir die Schutzmaske nicht millimetergenau aufs Gesicht gesetzt. Die Hitze konnte unter die Maske kriechen und dadurch wurde meine Gesichtshaut verbrannt. Ich spürte das erst nach dem Einsatz.


Es fühlte sich über Tage so an, als hätte ich einen starken Sonnenbrand. Ein solcher Einsatz mitten im dichten Rauch erfordert deine volle Konzentration und die Zeit vergeht wie im Flug. Du hoffst, dass du niemanden entdeckst, aber auch, dass du niemanden übersiehst. Die abschliessende Gewissheit, dass weder Menschen noch Tiere im Gebäude waren, hast du erst, wenn der Brand gelöscht worden ist und der Ort besichtigt werden konnte.


Mich belasten jene Einsätze am meisten, bei denen es um die Rettung von Menschen geht. Das kommt häufig vor, denn bei der Berufsfeuerwehr sind wir ja nicht nur für das Löschen von Bränden zuständig. An einem meiner Arbeitstage ereigneten sich in der Stadt Bern gleich drei Suizide. Das war heftig. Ich habe noch nie erlebt, dass es gleich mehrere solch tragische Ereignisse an einem Tag gegeben hat. Wir können uns jederzeit psychologische Hilfe holen, aber ich verarbeite belastende Ereignisse lieber durch Körperarbeit statt durch Gespräche. Dazu gehe ich regelmässig zu einer Therapeutin, auch präventiv. Und natürlich sprechen wir auch untereinander über das Erlebte, etwa, wenn wir zusammen essen oder im Aufenthaltsraum sitzen.


Ich kann mich noch gut an den ersten Verkehrsunfall mit einer toten Person erinnern, zu dem ich ausgerückt bin. Bei Verkehrsunfällen ist es die Aufgabe der Feuerwehr, Menschen aus ihrem Fahrzeug zu befreien. Manchmal sind wir die Ersten an der Unfallstelle. Wir haben gelernt, dass man zu den Betroffenen keine persönliche Verbindung aufbauen sollte. Zum eigenen Schutz ist es wichtig, dass man emotionale Distanz wahrt. Konkret heisst das, dass man sich keine Überlegungen dazu macht, wenn jemand einen Ehering trägt oder wenn ein Kinderspielzeug auf dem Rücksitz liegt. Und bei Verstorbenen sollte man vermeiden, ihnen in die Augen zu schauen. Als ich an besagtem Verkehrsunfall zur verstorbenen Person ging, habe ich das alles nicht befolgt. Die Situation hat mich zu sehr überwältigt, ich musste hinschauen. Die Bilder gehen gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Es war mir aber auch eine Lehre und ich habe mich seither nie mehr so verhalten.


Die Brandbekämpfung gilt als die Königsdisziplin all unserer Aufgaben. Sie macht jährlich zwar nur etwa zehn Prozent unserer Arbeit aus, aber diese Einsätze sind für uns am anspruchsvollsten und am gefährlichsten. ⁣⁣Wenn am Stützpunkt Forsthaus West der Alarm ertönt, wir die Stange runterrutschen, uns die Kleider überziehen und dann losfahren, wissen wir nie, was wir vor Ort vorfinden werden. Wir wissen nicht, ob es Verletzte gibt und wie sich das Feuer entwickeln wird. Angekommen, würde man am liebsten aus dem Auto springen und loslegen. Doch wir dürfen nichts Unüberlegtes tun. Erst muss die Lage eingeschätzt werden und dann hat jede und jeder von uns eine bestimmte Aufgabe.

Die Arbeit ist körperlich und mental sehr anstrengend. ⁣⁣Oft werden wir als Helden bezeichnet, doch das sind wir nicht. Ich bin aber stolz auf unsere Leistung. Von jedem Einsatz mache ich ein Foto und dokumentiere so für mich meine Arbeit. Nach jeder Schicht verspüre ich ein gutes Gefühl, da ich geholfen und etwas Positives geleistet habe. Egal, ob ich im Sommer ein Wespennest von einem Dachstock entfernt habe oder ob ich mitgeholfen habe, eine übergewichtige Person aus dem Haus ins Ambulanzfahrzeug zu transportieren. Unsere Aufgaben sind sehr vielseitig und das Ziel ist es immer, Hilfe zu leisten. ⁣⁣


Eine Lieblingsaufgabe habe ich keine. Höchstens eine Lieblingsjahreszeit, in der ich als Feuerwehrmann tätig bin und das ist der Winter. Zum einen wegen der Kleidung, in der es im Sommer viel zu heiss ist und die schwer ist. Und dann empfinde ich die Leute, die Hilfe benötigen, als angenehmer. Sie begegnen uns dankbarer, was wohl dran liegt, dass die Umstände im Winter wegen des Wetters als widriger empfunden werden.


Trotz ernster Lage kann es zu Situationen kommen, über die man im Nachhinein schmunzeln muss. Ich erinnere mich da an einen Brand in einem Mehrfamilienhaus ausserhalb der Stadt. In einer Wohnung hatte eine Matratze Feuer gefangen. Wir mussten alle Bewohnerinnen und Bewohner auffordern, ihre Wohnung zu verlassen. In einem solchen Fall kann ich als Feuerwehrmann nicht klingeln und warten, bis jemand öffnet, da muss ich auch einfach mal unangemeldet eine Wohnung betreten. So kam es, dass ich, ohne es zu wissen, in der Wohnung einer Prostituierten stand. Ich traf sie in einem Zimmer mit ihrem Kunden an und musste beide auffordern, sich rasch etwas anzuziehen und mitzukommen. Das war für mich, der da in der Feuerwehrkleidung stand und für die beiden eine ziemlich komische Situation.


Meine Freizeit verbringe ich am liebsten in der Natur. Seit einigen Jahren fahre ich Wildwasserkajak und betreibe Eisklettern. Bei beiden Aktivitäten geht es darum, dass ich meine Ängste überwinden muss. Beim Eisklettern halte ich mich mit der Spitze des Pickels nur an einem schmalen Absatz fest. Das ist mit grossem Risiko verbunden. Gleichzeitig erfordert es von mir, dass ich meiner Einschätzung und meinem Handeln vertraue. Das sind Dinge, die auch in meinem Beruf wichtig sind. ⁣Ich verbringe regelmässig mehrere Tage gemeinsam mit Kollegen in der Natur. Wir sind mit möglichst wenig Gepäck unterwegs, ohne Handyempfang und oft auch barfuss. Ich verlasse gerne die Komfortzone. Zudem will ich meine körperlichen und mentalen Grenzen ausloten. Die letzten Ferien verbrachte ich mit Kollegen in Chile. Dort haben wir im Freien übernachtet und uns hauptsächlich von dem ernährt, was wir gefunden haben.


Ich sammle keine Feuerwehrmodellautos oder beschäftige mich in meiner Freizeit anderweit mit der Feuerwehr. Die Arbeit nimmt auch so schon genug Raum in meinem Leben ein. Eine Schicht dauert 24 Stunden und wechselt sich mit einem freien Tag ab. Während der Schicht sind jeweils 18 Feuerwehrleute am Stützpunkt im Forsthaus, es sind übrigens auch zwei Kolleginnen dabei. ⁣


Wir essen zusammen, schauen abends die Tagesschau, jassen und schlafen zu dritt in einem Zimmer. Wir wissen viel voneinander, auch privat. Dieser Beruf verlangt auch Verständnis von der Partnerin oder dem Partner. Meine Freundin konnte damit nicht umgehen, wir haben uns getrennt. ⁣


Manchmal werde ich gefragt, was wir machen, wenn es nicht brennt. Ich kann versichern, dass es uns nie langweilig wird. Ich beispielsweise bin in der Fachgruppe Öl-ABC-Wehr für die Aus- und Weiterbildung sowie die Materialbewirtschaftung zuständig. Weiter bin ich verantwortlich für unseren internen Kiosk, bestelle Süssigkeiten und Getränke. Da ich in einem Hotel aufgewachsen bin, kenne ich mich damit aus. Wir arbeiten oft in unseren Werkstätten am Stützpunkt, wo wir unsere Fahrzeuge warten und Material flicken. Auch waschen wir unsere Wäsche selber. Zudem müssen wir fit sein und pro Schicht eine Stunde Sport treiben. Dafür haben wir einen Kraftraum. Anfangs habe ich mich einmal zu sehr verausgabt. Beim anschliessenden Einsatz war ich körperlich ziemlich kaputt. Die älteren Kollegen mussten schmunzeln und haben mich darauf hingewiesen, dass man seine Kräfte in diesem Job einteilen muss.


Feuerwehrmann zu sein, das war für mich nie ein Bubentraum. Ich bin zufällig in diesen Beruf hineingerutscht. Ursprünglich habe ich Schreiner gelernt und hatte nach Lehrab-

schluss die Gelegenheit, meinen Lehr- betrieb in Bern zu übernehmen. Alles war aufgegleist, doch dann wurde die Liegenschaft, in der die Schreinerei eingemietet war, verkauft. So entschied ich mich, eine Weltreise zu machen. Nach meiner Rückkehr sagte mir ein Kollege, dass bei der Feuerwehr Mitarbeitende gesucht werden. Ich habe mich beworben und konnte die Ausbildung beginnen. Jetzt bin ich seit drei Jahren bei Schutz und Rettung Bern dabei und es gab noch keinen Tag, an dem ich nicht gerne zur Arbeit gegangen bin. Du hast pro Schicht eine Funktion und bei einem Einsatz bestimmte Aufgaben, aber du weisst nie, was sich ereignen wird. Ich war beispielsweise bereits rund zehnmal an der Rettung von Tieren beteiligt, bei den meisten davon war eines in ein Güllenloch gefallen. Gleichzeitig gibt es Kolleginnen und Kollegen, die länger bei der Feuerwehr arbeiten und das kaum erlebt haben.

Wir sind für vieles ausgebildet, werden aber bei jedem Einsatz vor eine neue Situation gestellt. Geht es darum einen umgekippten Anhänger aufzurichten, haben wir die technischen Hilfsmittel dazu, aber wie wir vorgehen, das können wir erst vor Ort entscheiden. Unsere Arbeit erfordert Erfindergeist und Kreativität und das ist für mich das Spannendste an diesem Beruf.» (fz)

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